Seit einem Jahrzehnt ist die politische Lage in Mali instabil, und die wiederkehrenden Kämpfe haben das Land nahezu täglich in den deutschen Nachrichten präsent gemacht. Diejenigen, die unter der anhaltenden politischen Krise am meisten leiden, sind die Menschen in den ländlichen Regionen von Nord- und Zentralmali. Neben der politischen Krise spüren die Menschen hier die Auswirkungen der Klimakrise stärker denn je. Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt und immer mehr Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, sind von Mangelernährung bedroht.
Durch andauernde politische Krisen und bewaffnete Konflikte sind Familien, insbesondere in ländlichen Regionen, oft auf sich allein gestellt. Noch vor einigen Jahren konnte die Mehrheit der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben und sich selbst versorgen. Doch aufgrund der Klimakrise wird das immer schwieriger: Der Grundwasserspiegel sinkt, es gibt zu wenig Regen, und immer wieder treten Extremwetterereignisse auf. Die politischen Krisen und die Klimakrise führen dazu, dass immer weniger Menschen genug Einkommen haben, um ihre Familien zu ernähren.
Erfahre in diesem Artikel, wie IRC in Mali zusammen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nachhaltige Einkommensmöglichkeiten für Familien inmitten politischer Krisen und der Klimakrise schafft.
Frauen und Kinder sind besonders durch Mangelernährung gefährdet
Die Auswirkungen der anhaltenden Kämpfe und des Klimawandels treffen in Mali vor allem Familien auf dem Land. Im Landkreis Tenenkou sind es 1.200 Familien, die akut von Mangelernährung bedroht sind. Fast die Hälfte davon sind Haushalte von alleinstehenden Frauen. Gerade in ländlichen Regionen sind Frauen in den Gemeindestrukturen unterrepräsentiert und haben nur begrenzten Zugang zu Ressourcen und Gesundheitsversorgung. Das führt dazu, dass schwangere und stillende Mütter sowie Kinder unter fünf Jahren besonders von Mangelernährung gefährdet sind.
„Unter diesen schwierigen Umständen überleben Familien oft nur, indem sie sich gegenseitig unterstützen und einander aushelfen. Neben all den Herausforderungen ist es genau dieser Zusammenhalt, insbesondere zwischen den Frauen, der uns aufgefallen ist, als wir anfingen in den Gemeinden zu arbeiten. Heute ist die Solidarität der Frauen die wichtigste Ressource für unsere Projektarbeit“, sagt Ousmane Traore, Projektmanager für das IRC Länderbüro in Mali.
Frauen unterstützen einander durch Dorfsparvereine
Der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinden hat vor allem angesichts der andauernden Krisen und ständigen Veränderungen einen hohen Stellenwert in Mali. Auch die Arbeit von IRC im Landkreis Tenenkou basiert auf dem Zusammenhalt der Dorfbewohner*innen. Durch die Bildung von Dorfsparvereinen können Gruppen von 25 Frauen langfristige Einkommensquellen schaffen. Als solidarische Gemeinschaft können sie sich gegenseitig beraten und das Einkommen der Mitglieder im Dorf nutzen, um sich durch gegenseitige Kredite zu unterstützen. Jeden Monat wird genau dokumentiert, wer welche Ausgaben getätigt hat und wie viel den Mitgliedern im sogenannten „Solidaritätsfond" zur Verfügung steht.
Die Vereine sind ausschließlich von Frauen gegründet worden, darunter viele, die weder lesen noch schreiben können. Daher erhalten sie Unterstützung von Sekretär*innen, die die wöchentlichen Treffen protokollieren und ihnen beim Ausfüllen ihrer Kredit- und Sparbücher helfen. Auf Wunsch der gesamten Gruppe können die Sekretär*innen später auch offizielle Mitglieder der Sparvereine werden. Zusätzlich zu dieser Rolle gibt es in jedem Sparverein ein fünfköpfiges Management-Komitee, bestehend aus der Vorsitzenden, einer Schatzmeisterin und zwei Buchhalterinnen.
Die Geschichte von Mariam Kebe spiegelt die Bedeutung von Dorfsparvereinen in Mali wider. Sie ist zweifache Mutter und seit 2022 Mitglied eines solchen Vereins, der Frauen wie ihr die Möglichkeit bietet, wirtschaftlich selbstständiger zu werden.
„Schon nach dem ersten informellen Treffen habe ich die Vorteile der Dorfsparvereine gesehen. Ich verstehe mich sehr gut mit den anderen Mitgliedern und es gibt viel Solidarität untereinander. Wir können aufeinander zählen, und das ist in einer schweren Zeiten wie diesen sehr wichtig. Bevor ich dem Sparvereins beigetreten bin, konnte ich nicht sparen, und das Wenige, das ich verdiente, war schnell wieder weg. Ich hatte keine Möglichkeit, einen Kredit aufzunehmen, um in ein langfristiges Einkommen zu investieren. Durch das Projekt können wir uns gegenseitig Kredit geben, das ist sehr wichtig, weil keine von uns Zugang zu Banken und anderen Einrichtungen hat. Wir haben sogar Solidaritätsfonds eingerichtet, um Mitglieder bei gesellschaftlichen Ereignissen wie Hochzeiten, Taufen, und Todesfällen zu unterstützen.”, erzählt Mariam.
Die Unterstützung der Männer ist entscheidend für den Erfolg der Frauen
Für die Auswahl der richtigen Dörfer arbeitetet IRC eng mit den Gemeindevorstehern und den Leiterinnen der lokalen Frauenvereine zusammen. Sobald eine Gemeinde ausgewählt wurde, erhielten sowohl Männer als auch Frauen Schulungen über die Arbeitsweise und die Vorteile von Sparvereinen. In vielen Haushalten haben Männer oft die entscheidende Rolle, wenn es um die Bewirtschaftung der Ernte, den Zugang zu Land, die Budgetierung und die Vermögensverwaltung geht. Dies führt häufig zu ungleicher Verteilung von Ressourcen, wobei Frauen benachteiligt sind – Männer besitzen oft Vieh und Ackerland und behalten größere, fruchtbarere Grundstücke für den Anbau von marktfähigen Nahrungsmitteln, während kleinere, weniger attraktive Grundstücke häufig an Frauen für den Gemüseanbau vergeben werden.
Die Dorfsparvereine fordern diese ungerechte Verteilung heraus und setzen sich für eine stärkere Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen ein. Dabei fördern Mitglieder durch das Projekt ihre Fähigkeiten zur Verhandlungsführung und zur Entscheidungsfindung. So war es auch bei Mariam:
Seit meiner Teilnahme hat mein Mann mich immer mehr in den Entscheidungsprozess in Bezug auf unser Zuhause einbezogen. Ich konnte mein eigenes kleines Geschäft aufmachen und meine Familie unterstützen.
Die Männer der Gemeinden werden von Anfang an in die Arbeit der Dorfsparvereine einbezogen. IRC-Mitarbeiter*innen moderieren Diskussionsgruppen, die Raum für kritische Reflexion und Austausch über bestehende Geschlechterrollen bieten. Zusätzlich finden zu Beginn und am Ende des Sparzyklus eine Reihe von Fokusgruppen statt, an denen sowohl Frauen als auch ihre Ehemänner teilnehmen. Alle drei Monate treffen sich die Paare erneut, um Probleme der Haushaltsführung zu besprechen und mögliche Verhaltensänderungen aufzuzeigen.
Informationen für den Umgang mit den Folgen des Klimawandels
Um sicherzustellen, dass die Investitionen der Dorfspargruppen langfristig Bestand haben, werden die Gemeinden in Techniken zur Vorbeugung und Bewältigung der negativen Auswirkungen des Klimawandels geschult. In enger Zusammenarbeit mit der staatlichen Dienststelle für Landwirtschaft hat IRC 256 lokale Beratungsstellen zur Klimakrisenbewältigung eingerichtet. Gleichzeitig kooperiert IRC mit lokalen Radiosendern, um in lokalen Sprachen Informationen und Wissen über die Risiken des Klimawandels zu verbreiten. Dabei werden Hörer*innen praktische Tipps vermittelt, wie zum Beispiel die Auswahl klimaangepasster Baumarten und die Anbaumöglichkeiten von Früchten oder Nüssen, um den veränderten Bedingungen gerecht zu werden, insbesondere wenn traditionelle Landwirtschaftsformen nicht mehr ausreichen.
Projektmanager Ousmane berichtet, dass vor Projektbeginn kaum Maßnahmen zur Vorbereitung, Minderung und Verhinderung von Veränderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel existierten:
Durch dieses Projekt haben wir Beratungsstellen in den neuesten Methoden geschult, sodass sie die Gemeinden bei der Bewältigung von Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel stärken. Zusätzlich haben wir unsere Massenaufklärungskampagnen über lokale Radiosender. Jetzt treffe ich häufig Klient*innen, die unsere Tipps und Maßnahmen umgesetzt haben. Das freut mich immer sehr.
Ganzheitliche und feministische Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit
Durch solche innovativen multisektoralen Projekte wie die Dorfsparvereine wird die aktive Teilhabe von Frauen gestärkt, indem ihre individuellen Fähigkeiten zur Verbesserung ihrer Lebensumstände genutzt werden. Dieses Modell der Geschlechtergleichstellung, das Frauen wirtschaftlich und sozial stärkt, steht im Einklang mit der feministischen Entwicklungspolitik des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Hierbei steht Geschlechtergerechtigkeit im Zentrum nachhaltiger Entwicklung, indem alle Menschen unabhängig von Geschlecht oder anderen persönlichen Merkmalen berücksichtigt werden, um ihre Potenziale ohne Benachteiligungen entfalten und ihre Rechte wahrnehmen zu können.
Das Projekt berücksichtigt nicht nur wirtschaftliche Aspekte, sondern auch politische, kulturelle und geschlechtsspezifische Machtverhältnisse, um Frauen in allen Lebensbereichen zu stärken. Die Dorfsparvereine sind vor allem deshalb so erfolgreich, weil sie auf der wichtigsten Ressource der Gemeinden aufbauen: der Solidarität und der Resilienz der Frauen.
Seit 2020 hat das Projekt „Stärkung der Widerstandsfähigkeit der von Konflikten und Klimawandel betroffenen Bevölkerung in Tenenkou in Zentralmali" mehr als 45.989 Menschen erreicht. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Mali konzentriert sich auf lokale, nachhaltige Projekte, die direkt die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern. Im Mittelpunkt stehen die Ernährungssicherheit, Landwirtschaft, die Trinkwasserversorgung sowie der Aufbau starker kommunaler Strukturen.
In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt IRC Familien in Zentralmali, die von Konflikten und Katastrophen betroffen sind.